Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club e. V. (ADFC)

Geschützter Pop-up-Radweg

Geschützter Pop-up-Radweg © ADFC/Tosic

StVO-Novelle: Steckbrief Verkehrsversuche

Die neue StVO erleichtert auch Verkehrsversuche für den Rad-, Bus- und Fußverkehr. Kommunen können die Versuche mit Klimaschutz oder Stadtentwicklung begründen. Eine sorgfältige Planung mit einer Bestandsaufnahme bleibt aber notwendig.

Schon vor Oktober 2024 galt § 45 Abs. 1 Nr. 6 StVO: „Die Straßenverkehrsbehörden können die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken […] beschränken oder verbieten (6.) … zur Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen“.

Spezielle Erleichterungen für Verkehrsversuche sind in der jüngsten StVO-Änderung nicht vorgesehen. Die Befugnis zur Erprobung soll Fälle erfassen, in denen nicht die Frage zweifelhaft ist, ob überhaupt eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Straßenverkehrs vorliegt. Ziel muss die Klärung sein, welche Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahr geeignet und erforderlich sind. Das ist die Voraussetzung, wenn der Verkehrsversuch den herkömmlichen Zielen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrsdienen soll. 

Besondere örtliche Gefahrenlage wird nicht vorausgesetzt

Eine besondere örtliche Gefahrenlage wird seit April 2020 für „Erprobungsmaßnahmen“ nach nicht mehr vorausgesetzt (§ 45 Abs. 9 Nr. 7 StVO), aber die zu erprobende Anordnung muss „zwingend erforderlich“ sein – wenn sie mit der Sicherheit begründet wird. Daran scheiterten bisher Verkehrsversuche, die nicht der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs dienen sollten:

Auf Beschluss des VG Minden aus dem Jahr 2021 mussten Sperrpfosten entfernt werden. Wegen des fehlenden systematischen Vorgehens sei die Verhinderung des Kfz-Durchgangsverkehrs kein Verkehrsversuch. Das Ziel, die Aufenthaltsqualität zu steigern, könne verkehrsbeschränkende Maßnahmen nicht begründen. Sie dürften nur zur Abwehr einer konkreten Gefahr erprobt werden und nicht, um die allgemeine Sicherheit zu erhöhen. Die alternativ mögliche Begründung „zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung“ setze ein städtebauliches Verkehrskonzept voraus, das bislang nicht erstellt worden sei (VG Minden, 4 L 450/21). 

Ein Verkehrsversuch ist mehr als Ausprobieren

Die Rechtsprechung sagt, dass eine probeweise angeordnete Maßnahme nur rechtmäßig sein kann, wenn sie auch mit einer dauerhaften Begründung zulässig wäre. Umgekehrt müssen die neuen dauerhaften Gründe auch für Erprobungen zählen. Für Verkehrsversuche, die sich auf die neuen Ziele stützen, wie die Bereitstellung von Flächen für den Fahrrad-, Fuß- oder Busverkehr, entfällt dann auch der Nachweis einer einfachen konkreten Gefahr. Ein Verkehrsversuch auf Grundlage der neuen Ziele ist deshalb mit denselben erleichterten Voraussetzungen möglich wie eine entsprechende dauerhafte Anordnung.

Allerdings verlangt ein Verkehrsversuch mehr als Ausprobieren. Nach einer Klage von Anwohnern gegen ein versuchsweises Verbot der Einfahrt (ausgenommen Linienbus- und Radverkehr) in ihre Straße entschied das VG Frankfurt: Die Durchführung eines Modellversuchs setze ein folgerichtiges, systematisches Vorgehen der Straßenbehörde voraus. Dies erfordere eine Bestandsaufnahme und Bewertung des Ist-Zustands und der Maßnahmen, die geeignet und erforderlich sein könnten, die Situation auf Dauer zu entschärfen. Es sei nicht zulässig, nach dem Prinzip von „Versuch und Irrtum“ Verkehrsregelungen zur Probe anzuordnen. Das Einfahrtsverbot wurde aufgehoben (VG Frankfurt a. M., 12 L 1802/21.F). Diese Anforderungen an die Durchführung eines Verkehrsversuchs gelten auch bei Anwendung der neuen Ziele.

Verkehrsversuch in Gießen gestoppt 

2023 hat der Verwaltungsgerichtshof Kassel die Erprobung einer teilweisen Sperrung des Innenstadtrings in Gießen für den Kfz-Verkehr für unzulässig erklärt. Der mehrspurige „Anlagenring“ sollte nur noch einer Fahrtrichtung für den motorisierten Individualverkehr freigegeben und eine Fahrradstraße in beiden Richtungen angelegt werden. Auch den Busverkehr hatte die Stadt berücksichtigt. Diese Maßnahme erklärte das Gericht für „offensichtlich rechtswidrig“.

Voraussetzung für die Durchführung eines Verkehrsversuchs sei, dass eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Straßenverkehrs festgestellt, die Anordnung von Verkehrszeichen und Verkehrsanordnungen auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich und der Verkehrsversuch geeignet und erforderlich zur Erreichung des angestrebten Ermittlungsziels sei. Das bedeute zugleich, dass ein konkretes, die Sicherheit oder Ordnung des Straßenverkehrs betreffendes Ziel formuliert werden müsse, das mit dem Verkehrsversuch erreicht werden solle (VGH Kassel, 2 B 987/23). Dieser Beschluss beruhte auf der Rechtslage vor der StVO-Reform. Die Stadt hatte ihren Verkehrsversuch in erster Linie mit dem Klimaschutz begründet – das reichte bis Oktober 2024 nicht aus. 

Begründung mit neuen Zielen der StVO kann Gießener Verkehrsversuch helfen

Mit einer sorgfältiger ausgearbeiteten Begründung auf Grundlage der neuen Ziele könnte die Stadt einen neuen Verkehrsversuch wagen – mit besseren Aussichten auf eine erfolgreiche Durchführung. An einen großangelegten Versuch, der gravierende Veränderungen für den gesamten Verkehr auf einem Innenstadtring zur Folge hat, werden die Gerichte auch nach der neuen StVO erhöhte Anforderungen an die Datengrundlage und an die Prognose z. B. für die Klimaschutzziele stellen. Auch die Angemessenheit der Bereitstellung von Flächen für den Fahrradverkehr würde voraussichtlich strenger geprüft als die versuchsweise Anordnung einer einzelnen Fahrradstraße.

Zum StVO-Dossier 2024

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https://www.adfc.de/artikel/stvo-novelle-verkehrsversuche

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