Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club e. V. (ADFC)

Eine Person auf einem liegenden Trike mit Friedensflagge und Gepäcktaschen fährt auf einer Landstraße entlang eines rot blühenden Mohnblumenfeldes mit Bergkulisse im Hintergrund unter blauem Himmel.

Mit dem Trike auf Reisen: Uschi Sorg während ihrer 2.105 km langen Radtour durch Italien © Uschi Sorg

Mit dem Dreirad zurück ins Leben

Bewegungseingeschränkte können oft keine herkömmlichen Fahrräder nutzen. Spezielle Räder ermöglichen jedoch Mobilität. Ein Interview des ADFC Bayern zeigt, wie eine Frau nach schwerem Unfall zurück ins Leben und aufs Rad fand.

Vor gut vier Jahren veränderte ein Unfall das Leben von Uschi Sorg. Zu Fuß auf dem Heimweg von der Arbeit wird sie, schon fast zuhause, von einem Auto erfasst und überrollt. Mit schwerem Schädel-Hirntrauma kommt sie in die Unfallklinik. Sie wird mehrfach operiert und liegt vier Wochen im Koma, eine Querschnittslähmung steht im Raum. Als sie nach zwei Monaten aus der Klinik entlassen wird, ist sie zunächst auf den Rollstuhl angewiesen. Heute ist sie dank eines Elektrodreirads wieder mobil und meistert damit nicht nur ihren Alltag, sondern geht auch wieder auf Reisen.

Der ADFC Bayern hat mit Uschi Sorg über ihren Weg zurück ins Leben gesprochen, und darüber, welche Rolle das Fahrrad dabei gespielt hat.

Viele würden vermuten, dass es nur wenige Möglichkeiten für mobilitätseingeschränkte Menschen gibt, weiterhin mobil zu sein und gar am Radverkehr teilzunehmen. Wie war dein persönlicher Weg zurück zu dieser Teilhabe?

Schon als Kind und Jugendliche habe ich Bewegung in der Natur sehr genossen. Mit 25 Jahren verzichtete ich auf das Auto und nutzte das Radl für Alltag und Reisen. 

Mein Mann recherchierte schon während meiner Klinikaufenthalte, wie ich trotz meines beeinträchtigten Gleichgewichtssinns wieder Fahrrad fahren könnte. Und ich dachte, irgendwann könnte das wieder etwas werden mit dem Fahrrad.

Wie hast du dann konkret zurück aufs Fahrrad gefunden? 

Mein Mann fand einen Hersteller von Elektro-Dreirad-Tandems. Eine dreitägige Probefahrt überzeugte uns. Wir kauften das Tandem im Jahr nach dem Unfall. Das gemeinsame Fahren mit dem Tandem gab mir die Möglichkeit, mich wieder an den Straßenverkehr zu gewöhnen. Anfangs war ich sehr schreckhaft und ängstlich, eine Folge des Unfalls und des Schädel-Hirn-Traumas. Selbst im Taxi auf dem Weg zu meinen Therapien konnte ich weder schnelles Fahren noch Überholen aushalten. Mit dem Tandem haben wir uns dann aber gleich losgewagt, erste kleine Ausflüge zum Kaffeetrinken, dann zwei- bis dreitägige Touren und schließlich sogar eine erste Reise – eine dreiwöchige Tour nach Italien im Sommer.

Wie ging es dann weiter?

Wir trafen jemand mit einem Einzel-Dreirad, der uns ein Spezialgeschäft mit guter Beratung empfahl. Dort kaufte ich ein Dreirad, mit dem ich alleine fahren kann. Mein Mann begleitete mich anfangs, damit ich sicherer werde. Inzwischen fahre ich auch allein, genieße aber gemeinsame Ausflüge und Radreisen mit meinem Mann oder Freundinnen. Sehr gerne fahre ich auch bei den Fahrradtouren des ADFC Weilheim-Schongau und des VDK Weilheim mit.

Porträtfoto einer lächelnden Frau mit kurzen grauen Haaren und blauer Brille.
Dr. Uschi Sorg, die trotz eines schweren Unfalls und Gleichgewichtsstörungen wieder zurück ins aktive Leben gefunden hat. © Uschi Sorg

Dr. Uschi Sorg ist Soziologin und lebt im Ruhestand. Ein schwerer Verkehrsunfall führte zu einem Schädel-Hirn-Trauma und beeinträchtigte ihr Gleichgewicht. Sie gilt als schwerbehindert (Merkzeichen G, GdB 100). Doch dank eines Elektrodreirads (E-Trike) hat sie ihre Mobilität zurückgewonnen und unternimmt wieder lange Radtouren und Radreisen.

Uschi Sorg hat dank eigener Recherche und guter Beratung ein für sie passendes Fahrrad gefunden. Therapiefahrräder sind meist kostspielig und Krankenkassen erstatten die Kosten nur, wenn das Fahrrad aus medizinischer Sicht notwendig ist. Einige Unternehmen bieten dazu eine Beratung an.

Mehr über Fahrräder für Bewegungseinschränkungen

Wie gehen andere Menschen mit deiner Behinderung um? 

Mein Umfeld hat sich inzwischen an meine Bedürfnisse gewöhnt und hilft mir. Beim ersten Gruppenausflug musste ich lernen, offensiver um Hilfe zu bitten. In einem Café bei der Einkehr musste man Schlange stehen, um Kaffee und Kuchen zu bekommen. Da bin ich auf Hilfe angewiesen, aber niemand bemerkte es, bis mir die Tränen kamen. Niemand sieht, dass ich 100 Prozent gehbehindert bin, die Leute empfinden mich als fit.

Insgesamt mache ich sehr gute Erfahrungen: Autofahrende halten Abstand und lassen mich die Straße überqueren. Andere Radfahrer:innen und Fußgänger:innen helfen mir bei Hindernissen. Ich versuche, zu einem guten Miteinander im Straßenverkehr beizutragen. Auf schmalen landwirtschaftlich genutzten Straßen fahre ich auf die Seite, damit ein Traktor vorbeifahren kann. Pferde können durch das Fähnchen am Fahrrad panisch werden. Mit den Reiter:innen bespreche ich, wie ich gut vorbei fahren kann. „Rücksicht macht Wege breit“ ist eine gute und zutreffende Kampagne von verschiedenen Landwirtschaftsverbänden.

Welche Hürden müssen im Bereich Fahrradfahren für Menschen mit Behinderung abgebaut werden?

Fahrradwege müssen auch für Dreiräder und Kinderanhänger geeignet sein. In Pensionen und Hotels wünsche ich mir sichere Abstellmöglichkeiten für mein Dreirad und dass es durch die Tür passt. Besonders wichtig wäre, dass mein Dreirad planbar und zuverlässig mit dem Zug oder mit dem Schiff transportiert werden kann, um meine Möglichkeiten zu erweitern. Erste gute Erfahrungen habe ich mit dem Extraservice der Österreichischen Bahn für Menschen mit Behinderung gemacht.

Was war dein schönstes Erlebnis auf dem Trike?
Das lässt sich für mich nicht auf ein Erlebnis reduzieren. Das Dreirad ermöglicht mir selbständige Alltagserledigungen. Und ich nutze es mit Genuss für Tagesausflüge und Reisen. Fahrrad fahren ermöglicht mir Bewegung in der Natur und ist für mich Lebensqualität.

Letztes Jahr war das beste Jahr meines Lebens: Ich radelte von Peißenberg nach und durch Italien, sechs Wochen abwechselnd von drei Freundinnen und meinem Mann begleitet. Insgesamt legte ich 2.105 km und 15.680 Höhenmeter zurück. Ich hätte mir nach meinem Unfall nie vorstellen können, dass ich wieder so eine Fahrradtour machen kann. Inzwischen bin ich innerhalb von gut zwei Jahren mit meinem Trike mehr als 12.000 km geradelt.

Was wünschst du dir konkret von der Politik, damit das Radfahren sicherer wird?

Ein Radgesetz, das die Expertise des ADFC und der Behindertenverbände berücksichtigt. Die Nutzung der neuen rechtlichen Voraussetzungen, um in Städten und Kommunen Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit innerorts anzuordnen und so die Sicherheit für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen zu erhöhen. Zuschüsse von Krankenkassen und Berufsgenossenschaften für Dreirad-Fahrräder, um Menschen mit Behinderung Teilhabe zu ermöglichen.

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